Oberlinstiftung  |  Pressemitteilung

Polarforscher Markus Rex hält Oberlinrede 2022 

„Wenn ein Schiff Löcher hat und droht unterzugehen, streitet man besser nicht lange darum, ob es besser ist, das eindringende Wasser abzupumpen oder die Löcher zu stopfen. Ein kluger Kapitän macht schleunigst beides, um das Schiff zu retten. Und genau wie dieses Schiff mit Wasser vollläuft, läuft unsere Atmosphäre gerade mit CO2 voll, während wir das Pumpen verbieten und beim Löcherstopfen viel zu langsam sind.“  Am Dienstag hielt der Polarforscher Dr. Markus Rex die traditionelle Oberlinrede und schilderte in der gut gefüllten Oberlinkirche eindrücklich die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels.

Nirgendwo ist die globale Klimaerwärmung so weit fortgeschritten und so sichtbar wie am Nordpol – der kalten Arktis. „In der Arktis läuft der Klimawandel etwa viermal schneller ab als im Rest der Welt. Von der Arktis geht der Klimawandel aus und von dort beeinflusst er massiv Wetter und Klima in unseren Breiten“, so Markus Rex. Denn wo einst noch weiße Schneekappen einen Großteil der Sonnenenergie zurückstrahlten, verwandelt sich die weiße Eisoberfläche zunehmend in dunkle Ozeane, die mehr Wärme aufnehmen. 

Seit drei Jahrzehnten reist er in die Arktis und beobachtet diese Prozesse – und war von 2019 bis 2020 Leiter der größten Arktisexpedition aller Zeiten, bei der sich das Team der „Polarstern“, einem international besetzten Forschungsschiff, am Nordpol einfrieren ließ und in einem Jahr die Polardrift miterlebte. „Wir haben mit dem Eis gearbeitet und nicht gegen das Eis. Wir haben uns in die Hände der Natur begeben, haben uns dem Eis anvertraut, sind mit ihm gedriftet.“ Dabei gewannen sie bahnbrechende Erkenntnisse über die Klimaprozesse der zentralen Arktis. Wo noch in den 1990er-Jahren nur Schnee und Eis herrschte, „plätschert mir heute zur gleichen Jahreszeit das flüssige Wasser vor den Füßen – mitten im arktischen Winter“, beschrieb Rex eindrücklich seine Erlebnisse. 

Die Veränderungen durch den Klimawandel sind an der Arktis augenscheinlich – das Bild vom „ewigen Eis“ sei längst überholt. „Wir haben gesehen, wie das Eis stirbt.“ Markus Rex richtete eindrückliche Worte an das gebannte Publikum aus Spendern, Förderern und Gästen des Oberlinhaus: „Wenn wir die Erwärmung stoppen, können wir das Eis noch retten. Künftige Generationen können das nicht mehr. Wir haben eine Menge Verantwortung.“ 

Aus den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen leitete er eine ethische Verpflichtung unserer Generation ab, den Klimawandel aufzuhalten. „Verantwortung für unsere Schöpfung zu übernehmen bedeutet, sie zu erhalten“, mahnte Rex. Sehr viel schneller, sehr viel ambitionierter müsse sich die gesellschaftliche Mehrheit für den Klimaschutz einsetzen. Auf staatlicher Ebene brauche es Rahmenbedingungen, die so gestaltet sind, dass der Klimaschutz auch der wirtschaftlich erfolgreiche Weg ist. Weiterhin seine eine langfristige Bepreisung von Treibhausgas-Emissionen und moderne CO2-Speicher-Technologien dringend notwendig. 

„Lassen Sie uns kraftvoll gemeinsam die nächsten Schritte gehen. Lassen Sie uns das arktische Meereis als einen Ort faszinierender und einmaliger Schönheit für zukünftige Generationen erhalten“, appellierte Markus Rex, bevor er sich in einem anschließenden Gespräch mit Pfarrer Dr. Matthias Fichtmüller zu Themen wie Vertrauen, Verantwortung, Grenzerfahrungen und dem Eingebundensein in die Schöpfung austauschte. 

Pressestelle Oberlinhaus